Schick mir Nacktheiten

Momo schreibt mir.
Mein Chatt ist voll von kleinen Nachrichten von Momo.
26 jährig und im Pflegeheim, Eltern die ihm nicht glauben.

Momo chattet nicht nur mit mir.
Er chattet mit allen. Sammelt im Net die schönsten jungen Frauen.

Momo würde all das tun, was junge Männer in seinem Alter so tun,
wenn er jetzt könnte.

Etwa Zwanzigjährig posiert Momo an der Brücke, mit
irisierendem Blick und lässig verschränkten Armen: Gegenwart,
pulverisiert und dynamisch. Lachen, das alle überschallt,  zehnmal
mehr Energie… auf der Überholspur.

Im Pflegheim vermisst Momo seine Katze. Er hat ihre Anwesenheit
immer nur wenige Minuten ertragen. Kaum streichelte er seine Katze,
wurden Momos Symptome zu stark.

Sich selbst kann Momo auch nicht streicheln, zumindest nur selten.
Zu viel an Erschütterung u Reiz für sein Gehirn.

Mehrmals bettelte Momo im letzten halben Jahr seinen Arzt an, er solle ihm
doch ein Medikament verordnen, das seine Virilität unterbindet.
Eine Kastrierung wünschte sich Momo, sozusagen.

Dann bettelte Momo wieder mich an (und wohl viele andere digitale
Langhaar-Engel): Send me nudes, please!

Man muss das im Kontext sehen, im richtigen Kontext.
Einige Gesunde da draussen haben mir gesagt: du bist heillos naiv,
dies ist irgend ein Spanner, pudelwohl aber pervers.

Wie versnobt.
Alles ist anders! Es kann immer wieder anders sein, als wir es glauben!

Manchmal unterzeichne ich meinen Gruss an Momo im Chatt mit Mama.
Schliesslich bin ich in meinen Vierzigern. Auch wenn ich, ähnlich wie Momo,
vom Kinn an nach unten nur aus Hölle bestehe.

Wenn ich Momo damit necke, dass ich seine Tante oder Mama sein könnte,
drückt das ein klein wenig auf seinen Humor, die Stimmung.
Diese ist bei Momo insgesamt unverwüstlich.

Ich denke Momo ergiesst die Essenz seiner Lebenskraft vorbehaltlos
ins Netz. Depression, fragt er Weinende, was ist das?

Er hält mich für einen typischen weiblichen Jammerlappen.
Ich kann es ihm nicht verübeln. Auch wenn ich es noch auf die Toilette schaffe
und kurz an die frische Luft, habe ich nicht mehr die nötige Resilienz.

Die „eiserne Jungfrau“ ist eine Foltermethode aus dem Mittealter
und besteht aus einem Schrank aus Metall. Er ist innendrin mit Nägeln und
Dornen beschlagen. Und man kann ihn verschliessen.

Vielleicht sind das auch die Jahre.

Heute hatte ich wieder einige Chattnachrichten von Momo
im Messenger. Aber heute fehlte mir die Kraft, Momos Nachrichten zu öffnen.
Auch die Kraft zum Antworten habe ich nicht, habe ich gedacht.

Dieser Gedanke überschnitt sich mit einer weiteren Nachricht
von Momo; Marion! Ich liebe dich!

Wieder so ein Spruch.

(Also habe ich den Messenger doch wieder geöffnet.)

Ein 26jähriger hat mehr verstanden und kann über Obstakel hinweg sehen,
über die andern nicht hinwegsehen können.

Die verschwanden. (Getreu ihren Glaubensystemen.
Der Tod kann ein Glaubensystem aufweichen. Du hast die Möglichkeit, es wieder
zu überdenken.)

Es ist immer alles anders.

Send me Nudes! (Was für ein schöner Satz. Schick mir Nacktheiten!)

Ich sende Momo keine (physischen) Nudes, denn er hat wirklich
den anspruchsvollsten Geschmack, was die architektonische weibliche <
Schönheit betrifft. Models.

Abgesehen davon bin ich jetzt eine alte Schachtel und mache gerade den Versuch,
meine Hülle verschwinden zu lassen hinter mir!

Ich mag die Jugend irre gern! Ich hab sie nicht vergessen!

Wenn die Forschung jetzt vorwärts macht, wird Momo all das tun, was
man so tut. Später.

(13.10.2020, danke M. Pertiller für die Genehmigung dieses „Stoffes“)


(„Eiserne Jungfrau“, severe and severest #pwME)

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