ausgewählte Eclats 2016_22, Briefe eines Frisörengehirns

Marion Jeanne Suter

ausgewählte Eclats de Minutes, Briefe eines Friseurengehirns 2016-2022

 

Bern, Wankdorf, 2016

 

Gedankenspule

 

Aber wie sag‘ ich es einem Erwachsenen, als wäre er ein Kind,

was ich als Erwachsene dem Erwachsenen nicht sagen kann?

Als Kind kann ich es ihm nicht sagen, da ich es nicht bin:

ein Kind. Sondern gross und also erwachsen!

Aber wenn ich es ihm sage, als Erwachsene,

und ein Erwachsener auch er, wenn ich es ihm sage,

von Erwachsenem zu Erwachsenem, sozusagen, dann—

 

—— Sie machte sich auf Spurensuche.

Aber diese Verstecke waren ja nicht für sie bestimmt.

Um den Fundort nicht zu entweihen, senkte sie die Augen

und schlug einen andern Weg ein; den über die kahle,

Endlos-Treppe. —–

 

Aber wie verheimliche ich es einem Kind?

was ich als Erwachsene dem Erwachsenen nicht verheimlichen kann?

Mit den Worten des Kindes kann ich es ihm nicht sagen!

So klar und einfach kann es nicht sein.

—–

Sie fand, sie dachte umständlich. So umständlich konnte doch nur

ein Erwachsener denken, der nicht mehr freiheraus sagen konnte,

was er meinte! Der nicht mehr freiheraus denken konnte, was

er fühlte, nicht mehr freiheraus fühlen konnte, was er wusste, was er

fühlte, was es meinte. Dahinterstehen wie ein K …?

—–

Rund ist das Ei.

Don’t cry.

(22)

 

 

Psychostatus einer verkappten Augenweide

 

Wieder ein paar Dioptrien mehr.

Und eine lange, lange Glasfassade.

—–

Autsch!

—-

Wann hast du zum letzten Mal klar gesehen?

Wann und wie?

Mit dem alten, inneren Auge:

—–

Dahinter! Ohne! Jetzt!

(22)

 

 

Schnee im April oder Wortspiel

 

Wie wurde

aus dem Kern das Filigrane?
Aus dem Filigranen das Wachsen?
Das Wachstum zum Stillstand?
Zum Stillstand die Macht?

——
Wie wurde die Flocke zur Lawine?
—-
Der Kern ist nicht das Schwache.
Das Starke ist nicht aus Pech.

(22)

 

 

Wieder nur privat

 

Kleine, dumme Geschichte fand ihr Ende.

Aus, vorbei, fini! Da, wo ich alles wusste, es trug in mir.

—-

Schleichen nun, wie durch ein Museum ohne Bilder,

Kind das weint mit vernähtem Mund.

Krone, die nicht aufhört, zu zerbrechen —-

Krone der Intuition, auf die ich was gab,

auf meiner Brust, meinem

Körper sass, meiner Lippe, dem: versagt.

—-

Gejagt im Kreis nun, wie ein Pferd in der Loge:

Stimmen der Vernunft, die mir sagen: du bist nicht

die Einzige, es ist nur privat! Der gute alte Werther

hat alles darüber gesagt—–

—-

Kein Wort mehr für Herzschmerz, also wirklich? Nein!

Das mit uns war mir so wichtig. Und es endet so  ——————————–.

nichtig————

 

Gut, ich sage nichts mehr. Ausser:

—–

Eine solche Krone fallen zu lassen!

Von so hoch oben!

—-

Zerstört; ein Brückenpfeiler, eine Stadt, ein Land.

Man weiss es ja. Bei uns war etwas da!

Oder halt: Zwei, was Privates— (in hundertfacher Ausgabe)

—-

Zum guten Glück wächst Gras über Alles. Bla!

Oh Gras, wachse schnell über mir,

hier ist ein kleiner Jammer, der will sich

mit deiner Erfahrung verwachsen.

(22)

Einer, den man nicht streicheln kann, regiert die Welt.

 

Von wegen reisserischen Schlagzeilen.

Und wieder grünt es. Man denke.

Zum Beispiel an das billige Nachher mit seinen

präparierten Worten:

 

Vergeben: (das darf unmöglich sein, sagte Arendt),

Vergessen: (das darf niemals sein, das wissen wir!),

—–

Ist das ein Zitat aus einem Schulbuch in der Tonne?

Aufbruch: nicht jede Wunde heilt!

Frühling, der braun bleibt, man denke,

Sommer hingenommen!

Natur ist zäh, ist resilient, Mensch aber fein.

Kann gären, kann Monster geworden sein;

wie der da und der da und der da:

‚Immerhin zwölf Jahre gut gelebt.‘ Sagte Göring.

Gänzlich Schwarz.

(22)

 

 

Hinter meinem Fenster

 

Die Vorhänge zurückschieben.

Und mir das ansehen, was ich mit geschlossenen nicht sehe:

Zwei Spinnweben, von einem Luftzug leicht angeschoben.

Innen leer, da ausgewandert der Bewohner.

Einer, der aus Fäden flocht sein Haus.

—-

Ein so filigranes Heim könnte eine Botschaft sein!

—-

Die Türen herausbrechen.

Und mir zu Herzen nehmen, was mich hinter geschlossenen

nichts angeht:

 

Zwei Spinnweben, von einem Luftzug leicht angeschoben.

Am unteren äusseren Ende ein Punkt, der sich hoch zieht

an einem Faden.

—-

Ein so filigranes Heim kann kein Bunker sein!

—-

(22)

 

 

Und ich weiss warum Nietzsche weinte

Als Nietzsche begriff, was für einen feinen Übermenschen er erschaffen hatte,
fiel er dem Pferd um den Hals und weinte. In einem Moment der anbrechenden Krankheit und Schwäche sah er das kommende Jahrhundert in einem grellen Halo (Halluzination?) über dem Marktplatz aufblitzen und wollte noch rufen: Irrtum!  So habe ich es nicht gemeint! Doch es war schon zu spät. Er hing am Hals der Pferdes das ihn mit der Zartheit seiner wiehernden Nüstern sanft anstiess. Geduldig und gut, im Geschirr, stand es da und wartete auf das Vorüberziehen der menschlichen Krise. Es wusste nicht, dass Nietzsche in seinem glotzenden Auge, dem sturen, geduldigen Blick zum letzten Mal im alten Jahrhundert die Güte erblickte, und dass dieser unschuldige Blick es war, der den weichen Kerl mit den harten Visionen mit einem mal niederstreckte und zu Fall brachte. Nietzsche wusste, dass das Pferd nicht wusste, was er, Nietzsche wusste; nämlich, dass das Pferd ihn in seinem Innersten traf, warum wusste er selbst nicht. —–

Aber ich, ich weiss, dass das Pferd ihn nicht im Innersten getroffen hätte, wenn er gewusst hätte, dass das Pferd wusste, warum Nietzsche weinte. Wusste das Pferd, warum Nietzsche weinte? Ich weiss nicht, nein …. Nietzsche weinte, weil er im Pferd das Mitgefühl sah. Das Mitgefühl, das er in seinen Plänen für die kommende Menschheit vergessen hatte. Er fiel dem Pferd um den Hals und weinte, weil
all das in dem Moment auf ihn zurück fiel und er sich von einer plötzlichen Verantwortung erdrückt fühlte, die er auf seinen schmächtigen Schultern nicht tragen konnte. Niemandem war sie zuzumuten. Irgendwie so.

(22)

 

 

Kein Fan von Flaggen/ der Pazifist

 

Er plädierte für eine Gesichtergemeinschaft, allerhöchstens.

Als der Krieg kam, wurde er einberufen, er der Individualist.

„Du musst dich bewaffnen und dein Land verteidigen!“

(Wo hatte er das eben schon mal gehört?!?)

Im Krieg kroch er um eine Strassenecke und stiess dort mit

seinem Feind zusammen. Es war ein alter Bekannten aus

der Schulzeit. Für einen Augenblick sah er in ihm mehr als

einen Freund: er sah in ihm einen namenlosen Verbündeten.

‚Sein Gesicht ruft mich an! Noch bevor sein

Name mich ruft! Das vorsintflutliche Gesicht!’

Diese Hymne sang er, bevor er sein Gewehr sinken liess.

Und der Feind ihn tötete!

(22)

 

 

Über Nacht wird man nicht schlauer

 

Stehen noch Dinge draussen, von gestern,
Doch jetzt kommt der Sturm!

Soll ich sie holen gehen?

Es sind nur kleine Dinge!
Tasse, Lippe in Rot, Kippe einer Hand,
entwichen—

Ich will mit keinem Unterstand diese Dinge festigen!
Ich habe keine angst vor dem Sturm!

—–

Der Sturm kommt!
Er reisst alles nieder, fegt alles weg:
Tasse, Lippe in Rot, Kippe einer Hand,
entwichen—-

Irrtum!
Diese Liebe hätte einen Kokon gebraucht.

(22)

 

 

 

Die Sessel der universitären psychiatrischen Dienste

 

Ein Tisch. Eine Zeitung. ein Plastikbecher.

 

Und die kunstvoll verschalten Sessel, schwarz und mit massiver Lehne,

 

drei mal so hoch wie ein gut gewachsener menschlicher Rücken.

 

Manchmal sitzt einer drin und hängt einem Gedanken nach,

 

zu formlos, zu schwach, bricht dann ab.

 

Das Gesicht, winzig und blass, ein rohes Ei, das Rückgrat gestreckt,

 

die Schultern von der erdrückenden Last dieses Stuhls

 

gequetscht, die kurzen, nackten Beine, unter den kalten Lederfuss

 

zu den Fusseln geschoben. —

 

Wohin?!

 

 

Zu den Fusseln!

 

(16)

 

 

 

 

 

Beim Frisör

 

Bejahrt vom eigenen Anblick,  zeigte ihre treuste Freundin,
Madame Spiegel:

 

Augen, Nase, Mund, ein paar Krähenfüsse, schemenhaft

sowie einen Klappenschlitz für das tägliche Gefangenenmenü:

die spartanische Kost, oben, hinter der Stirn —

 

als eine Gucciwasser-Hand, geübt und schnell ihren

bleischweren Kopf wie eine Vase nahm,

hinüber zum Sessel trug

und aus einem Turban wickelte,

in der Farbe von Schneewehe.
„Wie hätten Sie es denn gern?

Getönt, gebleicht, toupiert? Über den Ohren gestuft?

Mit dem Eisen geglättet? Locker fallend? Nur wenige

Millimeter raspelkurz oder doch lieber schulterlang?“

Nun näherte sich ein Kamm. Eine Spore scheitelte die

Mauern, Splitter krachten.

Eine Schere, schnüffelnd wie Jungnäschen,

strich ums Haar.

 

Stiess zu.

 

Etwas fiel zu Boden.

 

Hab vergessen, was es war.

(17)

 

 

 

Die Stallungen der eidgenössischen Pferdeanstalt

 

Ich kenne dieses Nachtlicht. Fünfzigjährige Glühbirnen, die in zwinkerndem

Schmutziggelb die Stallungen bestreichen. Ein panzergrüner Laserstreifen hebt ab.

Und dort, am Ende der Stadt, wo zwölf Scheinwerfergrazien über den Blähbauch unterirdischer Autofluchten dem Stadion entlang stöckeln, wie Marlene Dietrich Gebeine, steht auch das Novotel Ibis, kreidebleich wie ein sibirischer Eiswürfel. Vor seinem Eingang, wo ein alter Kastanienbaum, hochstämmig und mit narbigen Kegeln das Gähnen einer Loungebar bedeckt, wächst ein futuristischer Müllbehälter mit Quetschfuss aus der Tramschiene.
Und an bläuliche Dunstspindeln gelotst, huschen im Zehnminutentakt

ein paar vereinzelte Arbeitsmappen quer über den Platz. Ob sie das Trittbrett
noch erreichen, Tram Nr. 4, Richtung Bahnhof, Zentrum Stadt?

Denn sind das nicht doppelte Gitterzäune, versehen mit Sensoren, die da, weiter hinten, den Verwaltungstrakt mit seinem Amt für Sport, Rüstung und Bevölkerungsschutz verkappen wie metallene Alleen, aus denen Mimikry-Vögel schiessen, kommt man ihnen an?

Während um das Gebäude der Erziehungsdirektion schon wieder der Schattenmann schleicht, allabendlich um Zehn, Löcher zu brennen mit seiner Funzel, mächtiger als eine viertönnige Kürbisse, Karat Haloween, über der Stirn, in das makellose Sauertopfgestein?
Es sind Fenster darin eingebracht. Und im  Sommer rasselt  Flötenwind durch die geschlossenen Jalousien hinab. Ein Haus musiziert!

Sprosse um Sprosse.

 

Ein Haus, innerlich verschlossen wie eine Brosche.

Kakophonie des minderglücklichen Zufalls. Lücken, zugerüstete Etagen,

gelber Struwwelpeter, zwischen Fussmatte, an der Anonyma Maloch

seinen/ihren Gruss abstreift, und Zapfsäule Shell, ein Shake unbekannter Farbe pflückt.

Hier wohnt wer. Hier ist wer daheim  im Herzen der Vor- und Agglofluren!

Aber dann steigt mir dieser intensive, würzige Geruch in die Nase.
Und in dem Geruch galoppiert der ampelrote Hengst  mit der jungen Heldin

obendrauf, am Fussgängerstreifen vorbei und davon, über zerklüftete englische Landschaft! Weich geschwungen!

Mit oder ohne Mission. Den in Seenot Geratenen dort über dem
tosenden Abgrund, am Ende des vorletzten Kapitels, an einem Fingerchen

zu retten …!

 

Vielleicht liebt sie ihn nicht mal.

 

In diesem Geruch hat jedes Mädchen ein Pferd zum Helden, wie jedes Pferd

als Heldin dieses junge Girl. Wie mag es heute riechen?

Ich kenne dieses Nachtlied. Links die Stallungen mit ihren Boxen,
die vielleicht leer sind wie Zahngläser, rechts die Hütte, in der ich einmal
nach einem Verirrten, Landesverräter, Perversen suchte, einer kleinen Romantikerin
und stattdessen ein paar Sack sauren Zements fand.

Über der Hütte hängt eine schwache Mondsichel. Bis auf ein leises,

störrisches Scharren liegt alles still und in friedlicher, fast
völliger Dunkelheit: die vom Schlaf überbackenen Hindernisse im (Tolkien)Park.

(17)

 

 

 

Gedanken über die Hülle beim Anblick eines verwaisten Igels vor dem Haus

 

Einige können Schallblasen aus ihr erzeugen, in dem sie sie blähen,

andere aus ihr schlüpfen.

Deine gefällt mir besonders gut, denn sie ist nicht aus Samt.

Die, die blenden mit grellen Farben und ausgebreitetem Gefieder:

vor denen nimm dich in acht.

Einigen hab ich mich früher mit dem Finger genähert wie Züngelnden,

schau so! Ja, jetzt ziehe ich ihn blitzschnell zurück!

Das waren die Künstlichen, die mit der Epidermis, der menschlichen Haut.

So etwas ist schnell entflammbar und anfällig.

(Obwohl es natürlich niemals so verwundbar und angreifbar ist, so

vielen Gefahren ausgesetzt, wie du, Kleiner).

Musst nur einmal in ein menschliches Ohrläppchen beissen und etwas

dahinter, auf einem kleinen Höhlenrundgang den Stalagnitengrund

erkunden.

Ich wurde schon unsanft entkleidet von einem harten, zugleich süssen,

zugleich ziemlich hohlen Nüsschen, das sich gar nicht erst die Mühe machte,

sich vorher durch meine tausend Schichten hindurch zu ackern.

Anschliessend rollte ich mich auf dem Bordstein zu einem kleinen Omelett zusammen, um unsichtbar zu werden, mitten am Tag, ähnlich wie du.

Wesen gibt es, die sind schon fast seelendurchwetzte Fossilien!
Sie tragen einen Knochenpanzer wie Filzstiftpatronen aus Plastik

ihren Hut.

Denn dann gibt es natürlich noch die Hüllen — zum Füllen — vom Gegenständlichen; die Behälter, Koffer, Gucci-Etuis für Brillen im Tabbyprint

oder Imitat, die Tortenkrusten, die nicht beissen, wenn sie sich um

deinen Finger schmiegen, Models, die in Latex  über den

Laufsteg gleiten, Leerbildschirme, Projektionen, rosarote Pillen,

die du verschluckst-

 

Immer stellt sich die Frage, was sie verhüllt, zusammenhält, bedeckt,

verrät über das in Innen Drinnen.

Bei dir mit deinen Stacheln, denk ich, muss es etwas Betörendes sein.
(17)

 

 

 

Schnee im März

Blaue Zauberschnur eines Rehs.
Und ein Vogel, der unter der Krone eines Baums hindurch glitt,
zärtlich wie ein Schiffchen. Und alles so friedlich.

Aber dann nahte ein blechernes Geräusch.
Und ein Scheinwerfer zerstach das Idyll.

Und jemand, der daneben sass, schrie verzweifelt auf:
Aber Mensch! Mensch! Du überfährst es!
(17)

 

 

 

Eclat de Minutes, Selbstportrait der Fatalen

Vorher gab es die Zukunft, und nachher gab es die Vergangenheit.
Und dazwischen gab es eine Mitte, die ganz fehlte.
Bis auf diesen kleinen Moment, vielleicht. Dies war ich.
Hier war mein Lebensort: Ein Provisorium, das blühte in
den Ewig-Anfang- , ein Jäh-Morgen, der blutete ins
Nie-Ende  hinein. Ein Bruchstelle-Herz, das immer zu schwach war
zum Durchhalten! Bis auf diesen kleinen Moment, vielleicht…!

Und dann, als alles vorbei war: Zukunft, Vergangenheit, Anfang-Ende,
auch der Tod im Leben, einfach alles! Ein Zustand des nicht mehr
ganz Drinnen-Seins folgte und des Nochnichtganz- Draussen-Seins:
ich, das herausgerissene Hauptteil: die Haut fast gänzlich abgestreift:
als Lichtstreifen fortdauerte, in diesen einen Moment hinein.
(17)

 

 

Werdegang eines Menschen

 

Zuerst bist du dieses Krächzen, hilflos, fast blind. Und noch nicht mal auf allen Vieren, kommen sie und überschütten dich mit ihrer blinden Liebe. Du bist ihr Kleinod, ihre Krone; weißt es nicht, aber gehörst noch ihnen.

Dann bist du dieses Staunen und Plappern, das sich schnell verformt zu diesen ersten (und letzten), ganz hellen reinen Fragen. Dein Mut ist jetzt so gross, dass du oft stürzt und dich blutig schürfst, doch schnell bist du wieder auf deinen Beinen.

Du bist jetzt Kind und dein euphorisches Rufen vereinigt die verhärteten Seiten ihrer Strassen spielend. Vielleicht bist du ihre Investition. Und sie lieben dich noch.

Aber du musst (vorwärts)machen …
Denn nun bist du bereits gross, krächzt nicht und staunst nicht, bist kein Plappermaul. Vielleicht hast du noch Mut, aber den braucht es nicht, denn du hast gelernt, die Ellbogen auszufahren. Wie einer dieser Motorschlitten donnerst du

durch eine Schneelandschaft, nickst einmal nach links, dann nach rechts, immer gehaltvoll und mit kleinen Schnittwunden, die deine besorgte Pupille durchkreuzen, zusammen mit dem, der dir willentlich oder unwillentlich in die Fahrbahn gerät.

Wirst du noch geliebt? Vielleicht hast du Glück!

Und was deine Stimme über dich verrät:  sag es doch grad selber!

Du warst nun dieses Krächzen und Plappern, Staunen und Rufen. Warst dieser neutrale, undefinierbare, unverführerische Ton. Kein Gesang! Jedoch Alarmanlage; Zahnrad, potentes Teil, ganz Funktion …
Und nun kommt bereits der Herbst, und das Licht verändert sich. Gräbt einen Ton in dein Herz, ein bisschen wie Erstaunen, ein bisschen wie süsslicher Schmerz:
Du hältst nun inne, du schaust hinunter auf einen eingestürzten Berg. Dieser Berg ist eingestürzt, ohne, dass du genau weißt, warum. Und das macht dich hilflos, und

du erhebst vielleicht noch einmal deine Stimme und referierst dein Versagen, verkaufst dein Können, verteidigst dein Recht, einer unter ihnen zu sein.

Doch sie laden dich aus.

Irrtum! Schreist du! —- Dann krächzt du! —- Bald gehst du auf allen Vieren! —

Dann im Rückblick hast du alles relativiert. (Auch, dass es vielleicht keine selbstlose Liebe gibt).

Nun bist du dieses Relativieren, Ende von einem Negieren, komplexes Lavieren. Deine Stimme ist leise, denn du brauchst nicht laut zu reden für dich in deinem zuhause. Dein zuhause kennt und hört dich!

Doch dein Körper ist jetzt schwer.

Manchmal gehst du in den Park und siehst die Kinder, wie sie jauchzen und spielen, während ihre Eltern sie observieren. Du denkst: Ihr Leben unterscheidet

sich von dem meinen durch eine Perspektive!

Wenn sie dich anschauen, schlägst du die Augen nieder!
Du bist dieses Murmeln, Grummeln. Zauber eines verschlossenen Abends, noch nicht alt und nicht mehr jung. Zu früh und zu schräg gewachsener Baum, zu krumm! Pfeifst, wenn keiner dich siehst, heulst wie ein Baby, ohne dich um ihre Blicke zu kümmern, fängst an zu singen, als wärst du wieder Kind:

Ich bin dieses Krächzen, hilflos, fast blind, und dann auf allen Vieren.

Kommen sie und überschütten mich ohne Liebe. Ich, ihr Kleinod, ihre Krone.

Gehöre mir selbst.

(18)

 

Selbstunfall der Fliege

Im Dunkeln tappen.

Die Flamme zünden, tausendundeinen Griff:

Einmal Staunen. Wattestäbchen zu Licht,

und im Lichtkahn ein Auge.

Dann schwarz.

 

Fliege, du bist zu nahe ran, an diesen für dich

lebensgrossen Feuerball!

in einem Zischlaut dein Leben verlöscht als ——————

——- grosse Srrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrerin.

 

Mir aber löschst du nur eine verhältnismässig

kleine Flamme aus.

(18)

 

 

Visualisieren unsere Zehen

Der Herr Soundso (der „out“ war) und ich (die „out“ war), waren schwerkrank.
Betroffen waren unsere Mitten. Beide hätten wir den Tropf gebraucht.
Aber die Welt kümmerte sich nicht um uns.
Der Herr Soundso hatte schon lange schlechte Karten in der Welt,
um meine stand es kaum besser.
Wenigstens hatte ich noch alle meine Zehen!

Meine Zehen sind das Stärkste und Gesündeste an mir,
sie sind mein grösster Stolz! Schmerzlos ragen sie auf!
Der Herr Soundso aber hatte alle seine Zehen verloren im Kampf.
Bis auf einen einzigen, der ging über die Brücke.
Abgefroren war Herrn Soundso dieser Zeh, aber das war egal,
denn es steckte eine Glasscherbe drin.

Diese Glassscherbe gehörte nicht mir, nicht dem Herrn Soundso.
Diese Scherbe gehörte der Welt, dem Tausendfüssler.

Obwohl er sich um seine Zehen keine Sorgen machen
musste, da er ja keine Zehen mehr hatte; fragte mich Soundso
ständig: Ziehst du mir ein Paar Socken an? Ich kann mich
nicht  bücken, mir frieren noch die Zehen ab!
Also versuchte ich ihn mit einer Visualisierung
abzulenken:

Dieser Moment in der Gartenkneipe, bevor der Kaffee
kam, die Vögel zwitscherten, die Nachmittagssonne mir
in den Nacken brannte, stundenlang, ich dann den
Zucker umrührte, der Löffel so sicher ——
sicher  —— in meiner Hand;
Dies war, lieber G…. eigentlich der grösste Moment
in meinem Leben. (nebst meinen Zehen.)
Was war dein grösster Moment?

Hab kalte Füsse gekriegt.
Kannst du mir bitte die Socken anziehen?!

(18)

 

Mein Bewusstsein übt (kann als Sprechübung gedacht werden)

 

oder: es geht rückwärts

Der Himmel umschliesst mein Haus, das mich vom Himmel abtrennt durch meinen Körper. Der mich vor Kälte und Wärme schützt. Durch das Haus und seine Mauern, die mich vor dem Himmel verschliessen. Durch meinen Körper. Der mich vor Wärme und Kälte isoliert. Die ich in diesem Haus lebe, das meinen Körper stützt, durch Wände. Die mich vor diesem Himmel, den ich nicht umschliesse, da ich an dieses Haus gefesselt bin, abtrennen. Abtrennen, da ich in diesem Körper, der Nichts umschliesst, auf jeden Fall nicht mich —– der mich von allem abtrennt —- alles falsch —– nichts kann mich je trennen! gefangen bin, und verdammt noch mal friere —- Aber was ist das, das mich das fühlen lässt, das mich das denken lässt, dass mich das sagen lässt:

Der —- Lemmih —- umschliesst mein Haus, das mich vom Himmel —- tnnert — mit meinem — Reprök — undsoweiter. Arschloch.
Der mich vor der Etläk und Wärme schützt, etc. Chrud — das Sauh und seine wauenden Mauen, die mich vor dem —- Blubber —- Durch meinen Köpfer —
der mich vor Wärme und Kälte —- grrr —- ! Die ich in miesem Sau elbe, das meinen Reprök —- ich hasse dich, Köppler — ni — schlitzt —- pling —- ping —-!!! Durch Lotterände — (bitte waschen)- die mich vor diesem Lemming —- den ich nicht Achtung, Kitschz: umschliesse — da ich —- reiteeiteruso —- Scheissesel.
Aber —-!!!!!:Was ist das, das mich das fühlen lässt, das mich das denken lässt, dass mich das sagen lässt? Bravo. Himmel, Trennchtchroatt—- Körpfler — Älte und Ärme —— Sauh mit seinen Nauerrn, ahhh!!!! —– nach Aussen hin —- Isoliertier —Ninnen —-Gefroren oder: rumgekehrt —– Achtung: Eschlum-Mich! —- bitte—- in diesem Haus — oh Elbe!— wohl—lelbe—nicht lebt —
durch deine Hände, Chim— den ich nicht —- da I-A-H —- in Gottesnamen fest hocke und — bin —- pssst!: nach Aussen hin, dem Lemmih —- zu —- Tsnit  —-verschlossen —- nach Innen zu — beide Richtungen — tschatschatscha  —— Schross–stickt ——- freibe an das —— Nichts ——– blabalasch.
ABER ——– !!!! WAS IST DAS, DAS MICH DAS FÜHLEN LÄSST, DAS MICH DAS DENKEN LÄSST: Will endlich verdammt noch mal warm haben!  Alles faschl. (18)

 

Vor dem Spiegel steh ich und zupfe gedankenverloren graue Haare

Hab ich etwa geträumt, letzte Nacht?

Vom unheimlichen Haus unten am Bahndamm, da,
wo die Strasse eine scharfe Kurve macht, hinein verkrümmt in den Felsen.
Ein schroffer, sonnenloser Anblick, wie die alte, uralte Frau, die das Haus bewohnte, am Morgen im Dunkeln einen Wagen hinter sich zog über die Gleise, zwei grosse metallene Bottiche drauf, beim Seiteneingang der Dorfwirtschaft Löwen,
jenseits des Bahndamms verschwand, schroff und in sich verkrümmt ….

Wir Kinder haben nie erfahren, ob die alte Frau mit den Speiseresten, die das Restaurant ihr überliess, ihre Säue ernährte oder doch sich selbst.
Wagten nicht in ihr verhärmtes, zerfurchtes und doch irgendwie unmenschlich wirkendes Gesicht zu blicken, wenn sie in umgekehrter Richtung an uns vorbei
zuwackelte auf ihr buckliges Haus, das nie ein Sonnenstrahl erreichte.
Behaftet mit schwer wiegenden Geheimnissen aus der Jahrhundertwende
(sie war wohl 1890 geboren), gekleidet in einen schwarzen Mantel, schwere Pantinen und beim Gehen Seitenschlag, hielten wir sie verständlicherweise ein klein wenig für eine Hexe.  ——

Aber jetzt denke an die blau geschichteten Terrassenhäuser mit den riesigen Betongaragen, die heute dort stehen, und ich meine: was von ihr abstrahlte und uns so faszinierte, war nur die gespenstische Maske des laufenden Vergessens.
Die uralte Frau war wohl in Niemandens Erinnerung mehr lebendig …. !!!

Einmal taten wir etwas Unerhörtes. Wir kamen von unserem Schulweg ab und eroberten das gespenstische Haus aus dem Hinterhalt, schlichen uns durchs Tenn in den Dachstock. Tock-Tock —- machte es einmal näher, einmal ferner,
aber dann doch immer näher —! Tock-Tock!
Dieser Moment, in dem wir realisierten, dass wir in der Falle sassen, sie uns ertappen würde —- und ein Streifen kaum sichtbaren Nachmittagslichts durch die Ritzen des Gadens vergeblich griff nach uns: er ging nie vorbei.

Es war vielleicht der Augenblick, in dem wir zum ersten Mal unsere Kindheit überlebten.
Atemlos vor Schreck und Spannung versteckten wir uns im Heu.

Und nun werde ich auch schon bald old and grey.

(19)

 

Rätselraten

Diese fremden Töne, die aus meiner Kehle jagten,
nur, weil mich mal einer besucht hat. Du, zum Beispiel
warst erst gekommen, hereingeschuht laut polternd
von draussen: Da gab ich schon zu viel Luft ab! Hyperventilierte!
Hab einen Zwischenraum von vielleicht—–

—-fünfzig Zentimetern zu dir hin——
beatmet.

Wie ein Xylophon, über das eine Windböe fegt,
in einem eigenen verlassenen Garten. Oder wie eine billige
Spumante-Prosecco-Rakete. Die gibt es überall.

Und du —— Wahnsinn —– hast dir erstmal die Schuhe ausgezogen.
Und mir,  weil ich krampfte, cool geraten: atme weniger,
am besten in eine Tüte!
(19)

 

 

Die gute Psychologin

Als ich mal Psychologin wurde, sagte ich zu meinem Klient:
musst fest die Zähne zusammenbeissen, so, als hättest du keine! Hehe.
Ich wurde aber nicht Psychologin, sondern zuerst Köpfe-Malerin.
Dann Lehrerin und Schätzchen von meinen Köpfen.
Dann Läuferin und Athletin. Dann Psychiatriefall, selbst:
Und zuletzt: Clochard.

Ja, so kann’s abwärts gehen mit den Sensiblen!
An der Kasse im Supermarkt trat ich einen galanten Schritt zurück
und liess meinen Klienten den Vortritt. Ich sagte: Bitteschön! Mit sonorer Stimme,
manchmal zuvorkommend, manchmal lächelnd, manchmal sachneutral. Kompetent! Immer griffbereit für ein Herz, das sich ausschüttet hin
auf meine Geste, mein Blick! Wenn sie dies wollen,
in so einer indiskreten Situation. Versteht sich von selbst!

Dies geschah dann auch nie, auch nicht ein einzigesmal!
Vielleicht, weil ich doch nicht ganz wie eine Psychologin aussah, sondern
einer glich, die ihre Säcke mit Essen füllt, am Ende des Rollbands,
pfichtbewusst und zielstrebig. (Das Rollband dem Nächsten überlassen,
leer geräumt, das ist so eine Ambition von mir.)

Jemand sagte mir mal, ich wäre eine gute Psychologin geworden.
Aber da war ich schon Clochard, obdachlos also und meistens innerlich
und äusserlich ungebadet.

Sympathie für meine Klientel war bei mir gerade mal so
ausgeprägt, dass ich immer offenen Blicks, bereit für das Monströseste,
durch die Stadt ging. In der Mitte stehen blieb und einen Passanten fiktiv beriet:
gefühllos, will heissen empathisch. Freundlich, aber bestimmt.

Aber eben: Worin?

(20)

 

Geschichtslektion für Kinder (Arte Doku über den Deutsch-Französischen Krieg)

Etwa 150 Jahre ist es her, da gingen zwei eitle Abzeichen aufeinander los,
um wie sie sagten, Brüder zu werden, als Feinde in Ehren. Es war in einer Zeit, in der man Länder aufteilte u stahl zum Spiel. Frankreich war damals schon
gross, Preussen dabei, noch mächtiger zu werden.
Sie gingen also aufeinander los, weil sie Brüder waren, Brüder in Mass und
Grösse. Die Franzosen schossen mit dem Chasspotgewehr, mit dem man ziel
genau traf, doch liefen sie ihren Brüdern, die Paris zu Pferd umzingelten,
in den Kanonenhagel.
Ein Bild zeigt sie zusammengesunken, Kopf an Schulter
und Arm in Arm, friedlich, fast wie Renoirs Nacktbadende.
Apropos Frauen: Zehntausende junger Mädchen und Mütter weinten.
So auch das Bürgerfräulein S. von St. Germais. „Oh, Vaterland, muss meine Liebe
zu dir grösser sein, jetzt, wo du mir das Geliebteste genommen hast,
meinen Ludovic?!“ Und an dieser Stelle endeten die pathetischen
Tagebucheinträge der jungen Dame.
„Mein verehrter Bruder“, salbaderte Napoleon III., als ihm das Spielchen
zu bunt wurde: „Ich gebe auf, ich lege das Schicksal in deine Hände.
Mein Land hat tapfer gekämpft, aber deine Männer haben mehr Mut, mehr Tapferkeit als meine. Entscheide du nun, was mit uns geschehen soll!“
Die Depesche wurde Wilhelm weiss behandschuht übergeben.
In Versailles, wo der Frosch Bismarck, gezwirbelt vor Machtgier, das
kleine Streiflein Elsass Lothringen annektierte, stapelten sich unterdessen die Verwundeten beider Länder. Sie waren nun keine aufgeheizten
Gegner mehr, heimlich loyal und im Herzen verbrüdert, sondern weinten,
weil sie Weihnachten daheim so sehr vermissten.
Kinder, habt ihr die Lektion verstanden?

Gemeinsame! Geschlagene! Sterbende(unsterbliche)! Männer! In Ehren!
(20)

 

 

 

Amourbox: Liebeskummerkasten

Wenn es mich nicht mehr gibt für dich, dann will ich nichts mehr. Aber warum? Dies ist nur Natur und Fatalität. Identität, die sich auflöst wie ein Maschenteppich, nur weil die Liebe gegangen ist, bringt die wahre Identität zum Vorschein?
Doch, ja, ich erkenn mich im Spiegel, ich fühle, ich bin bei mir. Und dennoch will ich mein ganzes Sein, das ich in mir habe, ohne dich nicht mehr. Da wären ich und mein Sein, da wären andere Menschen, aber in dieser tiefen Geschmacksverirrung, in der ich stecke, will ich lieber nichts mehr, als die Hände derjenigen nehmen, die mir sagen, dass ich ihnen etwas bedeute. Ich kann nichts geben, nichts und niemandem, weil alles in mir für dich ist. Es wäre das Naheliegendste, das Herz loszureissen von jemandem, dem man nichts bedeutet und Gefallen daran finden, mit anderen Fühlung aufzunehmen. Aber paradox wie ich bin, sind mir alle Wege versperrt, aus dieser Blockade herauszufinden, solange, diese Liebe für dich in mir auf diese Art lebt.
Ich wünschte, sie lebte anders: dass du mich verlassen hast, und ich für dich nicht mehr existiere, sollte mich Berge versetzen lassen. Ich fürchte, es ist alles ganz anders. Die Liebe, mit der du mich über ein Jahr überschüttet hast; sie ist die Insel gewesen, die mich mit dem Festland verbindet. Ich trieb schon auf offener See, ehe du kamst. Und nun …. Nicht mal, dass dies ein Classic ist, und dass es in diesem Moment Millionen gibt, die im selben Narrenschiff dahin treiben, kann mich soweit restaurieren, mit erhabenem Kopf davon zu schreiten. Es gibt ja nur Magie und Magie ist Fatalität. Ich bin keinen Millimeter weitergekommen, all meine Gedankengänge haben an meinem Materialismus nichts geändert, ich sehe keine Möglichkeit eines Perspektivenwechsels. Ich will nur wieder in dir sein, und sonst will ich nichts mehr. Dass du vielleicht, ja sehr wahrscheinlich, Hässlichkeit an mir wahrgenommen hast aus deiner Perspektive, Hässlichkeit, die meinem Selbstbild entglitt, quält mich wie Waterboarding: ich wurde hässlich für dich und mein Licht erlosch dir. Nun will ich nie wieder in den Spiegel schauen. Schwarz bin ich als Frau (weil wir keine Liebende mehr sein können), als Mensch (weil wir es nicht geschafft haben, Freunde zu werden), schwarz ist meine Intuition (weil ich meine Subversivität und das, was dich von mir abstiess nicht mit deinen Augen sehen kann), auf die ich so viel gab, schwarz ist mein Körper, der verfällt (weil er mich dazu zwingt, so nah am Fleisch zu sein) und schwarz ist mein Denken.

Es ist unbegreiflich, verlassen zu werden, und ich spüre die Last der Zeit, die mir geschenkt ist, dies nicht zu begreifen. Sich angezogen fühlen auf diese Weise von einem andern Menschen und von dem riesigen grossen Rest der andern Menschen nicht. Man glaubt, diese Liebe sei etwas zutiefst Individuelles und Irrationales, weil sie die Identität so erschüttert (besonders, wenn sie geht), aber eigentlich ist sie weder individuell noch irrational. Mein jetziger Zustand ist so nicht gewollt von mir, und mein Körper bin auch nicht ich. Also was ist das? Nichts mehr schmeckt mir, nichts mehr kann ich erkennen, nichts reicht und ich erreichte uns nicht

————– nie wieder will ich in den Spiegel schauen, dieser Spiegel lügt, jeder Spiegel lügt ————— !

Heute dachte ich, ich hätte dich mit einer neuen Liebe gesehen, und ich stürzte auf zu dir, zu euch in die Wohnung, weil ich sehen wollte, ob es irgendetwas für mich zu erkennen gibt  —- ich stürzte auf ——— ich konnte nicht mehr denken —— mein Herz raste —— ICH WOLLTE WIEDER ETWAS WISSEN —— obschon ich weiss, dass es mit Wissen nicht geht —– du wirst mir nichts mehr zeigen von dir und über Worte werde ich nichts von dir erfahren —— ich wollte für dich einen lustigen Witz machen (wie früher), und dich zum lachen bringen, weil dein Lächeln mit den kleinen Knabenzähnchen alles verzaubert, stattdessen würgte ich den dämlichen Satz herunter, den du für Kalauer-mässig hältst: ich liebe dich! Aber ich schaffte es nicht und weiss selbst nicht, welchem Zwang ich gehorche, wenn mein Mund diesen Satz auch jetzt noch in die Luft haucht. Schlimmstenfalls ist es für dich Nötigung, und dieser Gedanke quält mich wie ————————— Waterboarding.
Dass ich dich zwingen könnte, Sätze meiner Zuneigung für dich über dich ergehen zu lassen,(während du lieber auf dem Handy tippen oder Fernseh schauen möchtest) wie von einem dummen Schulkind.
Wie gesagt, ich wollte dir gerne was Lustiges erzählen, um dir damit eine Freude zu machen, und weil das immerhin ein bisschen attraktiver wäre. Aber Liebende in dieser Lage sind ja doof —— ich hab nicht das Gefühl, dass ich jemals wieder in mir stehen werde. Wenn ich doch nur dein Hund wäre. (20)

 

 

Amour-Box: Liebeskummerkasten II

Früher, wenn ich Malte zum letztenmal sah, zum letztenmal das Gehirn und die Adern voller Rotwein und Bier, sagte ich ihm einen Satz, immer, im Bewusstsein, dass es mein letzter Satz ist für ihn.
Vor der Cafebar Mokka, nachts um vier, am Thuner Schloss vor den uralten Gefängnisgittern, draussen beim See, im Vorbeigehen: ich trat an ihn heran, rollte oder flog, nein, ich wusste nicht, wie. Es war ein Umsinken, in dem Moment, in dem er, fertig und verbraucht von der Nacht, von seinem letzten Bier aufschaute und mir diesen Moment des Zuhörens schenkte.
Mann, er war so voll u so weggetreten! Und doch hab ich bei ihm diesen Raum gespürt, diesen zusätzlichen Raum. Es kam mir vor, als hörte er anders zu, von viel weiter her; und doch musste ich mir sein Ohr stehlen, um ihn, Malte, heimlich ein letztesmal zu kosen durch meinen letzten Satz an ihn hindurch.
Man hätte mich mit Kompott übergiessen können, wenn ich seine Aufmerksamkeit endlich bei mir hatte. Wenn Malte mir zuhörte, dann war es, als wäre da die präziseste Stille, aber gleichzeitig umgarnte seine Aura Musik. Echo verströmte sein lakonisches Schweigen, seine teuflischen, traurigen Augen, man hätte mich abschleppen müssen. Ich sah nichts mehr, fühlte nichts mehr, was ausserhalb seiner Aura geschah, neben uns. War eingesponnen in sein Ohr, in sein Wort, in die Berührung seines verschnitzten Armes; es war mit Malte wie herangezogen werden von einem Magnet unter Zeitlupe.

Das Tempo einer Langsamkeit, in der ich vergehen konnte.

Nie wieder konnte ich so an jemanden hinsprechen. Umsinken in so einen Abgrund hinein. Anderen, die nachher kamen, fühlte ich auf den Grund, schnell und flüchtig, spürte ich, bis wo ihr Bewusstsein reichte und bis wo ihre kurze Berührung. Ich warf mich vor einige auf den Boden hin. Ich war so jung. Und Malte war fort. Nun wollte ich ihn in mir selber tragen, wollte werden wie er, seine Gesten, seine Schichtungen, seine verzitternde tiefe Wärme, den Zynismus, mit dem er mich verschnitten hatte, mir einverleiben.
Manchmal, wenn jemand an mich herantrat, am Ende einer chaotischen Nacht, vertraulich und weit geworden im Wein, ulkig, in einem Innenhof, mit einem letzten Satz, tat ich so, als könnte ich dem Fremden diesen Raum schenken, seine fremde Vertraulichkeit trinken. Ich schwang nicht zurück, ich fasste ihn auf, wie ein Kuss, nicht mehr loslassend, bis ich ihn beherrschte.
Dann liess ich los und ging weg, fühlte mich leer und weinte um meinen Malte. Den ich nicht sein konnte, mir nicht einverleiben konnte, weil er ein Anderer war, nicht ich, ganz einfach.
Uns (mir und den Späteren) selbst in die Quere  kam ich mit einem ziemlichen Ego, von dem ich wünschte, ich hätte es wenigstens Malte gestohlen. Ich will nicht sagen, dass ich nicht hingebungsvoll war oder die Liebe für mich ein Spiel geworden, für meinen Körper war sie ein gewaltiges Erlebnis —– aber ich war doch immer auch noch da und drängte in die Mitte, ich wollte keine Gleichheit mehr ab da, (nach Malte), sondern nur meine Berauschtheit ihnen und vor allem mir schenken.

Und Sätze waren oft so endlos —- verpuffend.

Oke, einmal hab ich es vielleicht doch noch erlebt. Und ich ertappte mich mit einem letzten Satz. Und in diesem letzten Satz steck ich noch. Doch im Unterschied zu Malte, dem ich im Wein und Bier, jeden meiner letzten Sätze hin erbrach, und keine Gelegenheit ausliess, besoffen und entgrenzt, in der Nacht, mich an ihn zu binden, auf offenen Plätzen, ein letztes mal mit einem letzten Satz —- werde ich diesen letzten Satz diesmal vermutlich für mich behalten. Ich werde die Zeit verstreichen lassen und vielleicht sehen können, was mit einem Satz passiert, die nicht geschenkt und nicht genommen werden kann.

Wenn man aufhört letzte Sätze zu sprechen, verlieren sie mit der Zeit vielleicht in einem selbst drin ihre Bedeutung. Alles wird lose. Und die Rose ———
—————————————- verblüht in einen ungestillten Frieden hinein.

Das ist nie und nimmer das, was ich wollte.

Ich wollte mit meinen letzten Sätzen die Momente wieder lebendig machen.

Und jene mit Malte, damals in den Nächten, sollten nie enden. (20)

 

Nach dir

Weil ich keinen Schatz suchen kann, will ich einen Satz
suchen. Lang soll er rollen, wie der Mitternachtszug
über der Brücke, hinter meinem Fenster: Tdmtdmttdm.
Und mir Halt geben bis zum morgen.
Die, die einen Schatz finden, sind leise und im
Dunkeln still. Die, die ihn verlieren, laut.
—— Müssen schreien; oder schmollen.

Rolle mich tiefer und tiefer in meine Decken.
Suche Geborgenheit in Löchern und Ritzen, fast
ersticke ich mein Kissen —-
Nichts ist mir eng genug.
Lange Nacht und kurzer Satz: Und die Sehnsucht
des Mitternachtszuges zog vorbei.

Reisen. Sag ich. Reise du gut!

Wer weiss, vielleicht schlafe ich ein.
(20)

Mantel

Ich hatte einen langen schwarzen Mantel. Mit dem schritt ich immer wieder aus gegen lang gezogene schwarze Wolken.
Da wurde aus meinem Mantel eines Tages ein Wolkenmantel. Schwarz, lang und ach so schwer, trug ich ihn auf den Dachboden und legte ihn dort über einen aufgeklappten Koffer, der noch brannte vom Aufbruch einer kurzfristig abgebrochenen Reise.

Da ich keinen Mantel mehr besass, besorgte ich mir ein Tuch und band es mir als Wickelkleid, lang, schwarz und schwer, dutzendfach um meinen Körper.
Mit dem Wickeltuch schritt ich dann gegen die Wolken an, lang gezogene, schwarze Schritte! Da wurde aus meinem Tuch ein schleppendes Wolkentuch,
aber ach so unendlich schwer!
Also trug ich es auf den Dachboden und legte mein langes schwarzes Tuch,
aber ach so schwer, über den langen schwarzen, so schweren Mantel, der dort den Koffer zudeckte, aus dem es noch brannte vom Abbruch einer langfristig geplanten Reise.

Ich hatte keinen Mantel und ich hatte kein Tuch, doch weil ich verreisen wollte, nahm ich den langen schwarzen Mantel, der so schwer war und das lange schwarze, schleppende Tuch, das so schwer war ebenso und schritt mit dem Koffer, aus dem es noch brannte von den zwei aufeinanderfolgenden, überraschenden Unfällen; dem Aufbruch und Abbruch der Reise gegen die Wolken aus.
Als ein schwerer Wolkenmantel mich, mein gerolltes, langes schwarzes schweres Wolkentuch, den langen schwarzen, schleppenden Wolkenmantel und den brennenden Koffer unter sich begrub.

Ich  bin nicht sicher, ob sie kommen, mich zu bergen, wie sie es stumm zu tun pflegen im Zwischenraum zwischen Dach und Boden.
Vielleicht werden sie Mäntel und Tücher über meine Schwere legen, zum eigenen Schutz.

Einer wird den brennenden Koffer nehmen und damit die Reisen ausführen, die ich nicht getan habe. Und hoffentlich seinen Sonnendurst löschen. (20)

 

Komm doch!

Schritte hinter meiner Tür.
Sagen mir, wann ein Kommen, wann ein Gehen.
Ich bin so Gesichterverliebt.
Das seh ich in meinen Schritten:
einer ist auf dem Sprung, einer schleppt sich.
(das ist der, der von der Putzfirma kommt)
Ein neunzigjähriger Schritt macht Staccato.
Ganzflächig und spelzig aufgesetzt:
der Schuh in der Lebensmitte.
Anfang Zwanzig zwei Stufen aufs Mal:
nur mit der Spitze. (später poltert er über mir mit dem Geschlecht.)
Welches ist der Fuss von dem, den ich kannte?
Und der mir dann davonrannte?
Über Treppenabsätze flog in sein Auge ich,
das kleine Schlüsselloch.
Umhalste sein Gesicht, als gäb es kein Morgen
im Schattenwinkel.
Laut fallen Türen von Wackelhäusern ins Schloss.
Neue Türen von Sprungfedern zurückgehalten;
leise, wattenhaft. Isolieren meine Ohren.
In Schritten lesen, anonym.
Gesichterweh./ich bin so Gesichterverliebt.
Wandunbekannte.
Verstehen mich auf Passanten.
(20)

 

Ketten à 10 (fast)

Das erste Wort war Liebe.

Das zweite Wort war Tod.

Das dritte Wort war Sein.

Das vierte Wort war Frieden.

Das fünfte Wort war Haben.

Das sechste Wort war Angst.

Das siebte Wort war Krieg.

Das achte Wort war Lust.

Das siebte Wort war Schmerz.

Das sechste Wort war Schmerz.

Das fünfte Wort war Zärtlichkeit.

Das vierte Wort war Abschied.

Das dritte Wort war Leere.

Das zweite Wort war Stille.

Das erste Wort war Liebe.

Das Wort zuvor war  ———-

Existiere du nicht, Wort zuvor!!!!!!!!!!!!!!!

(20)

 

Kerzen am Baum

 

Knipsen Licht in ihre Gesichter.

Flammen, zart, doch zueinander gebracht.

Flammenmeerwarm.

Dann ein bläuliches Bibbern,

Kampf auf Hauchesstufe, nur Innendrin

gewaltiges Überfliessen, wachsrot

in den Nadelkranz verkrallt.

Erst heiss, dann kalt, so lapidar:

Sehnsüchte hängend am abgesägten

Stamm, zu unterst.

Zeig mir den Lichtschalter!
(20)

 

 

Rabenschwarze Spirale

Eines Nachts stand ich auf und brachte den Fluss zum Fliessen, ohne Wasser, rieb Steine aneinander, bis sie glühten, ohne ein Feuer zu entfachen. Ich füllte meine Bananenschachteln mit Luft und zündete die Hütte an mit der Leidenschaft meines Atems, aber sie brannte nicht. Also ging ich zurück und schnitt mir die Pulsadern auf, doch es kam kein Blut, ich stocherte und stocherte. Mit einer Leiche auf meinen elektrischen Rädern rollte ich dann zum Hafen, wo mir der Geliebte der Andern zu winkte: Ich hab dich allein geliebt! Als eine Leiche auf meinem Rollstuhl, die keine war, erhob ich mich dann und lief übers Meer, das unter mir nicht nachgab. Es tat etwas weh. Also versuchte ich etwas Schönes zu denken.
Ich dachte, wie ich eines nachts aufstand und den Fluss zum Fliessen brachte mit Wasser. Wie ich Steine aneinander rieb und ein Feuer entfachte, meine Reisekisten füllte mit Gegenständen, die ich zum Leben brauchte. Schwer wurden sie. Ich ging und brannte die Hütte nieder mit der Leidenschaft meines Atems. Ich schnitt mir die Pulsadern auf und verblutete. Als Leiche auf zwei Beinen ging ich dann zum Hafen, wo ich dem Geliebten der Andern zuwinkte: ich hab dich allein geliebt! Der Geliebte der Andern packte mich und warf mich ins Meer, das unter mir nachgab. Es tat etwas weh. Als Leiche versuchte ich nochmals etwas Schönes zu denken.
(20)

 

Neujahrsvorsätze

Ich denke, ich sollte.

Das dachte ich hin und wieder.

Ich denke ich könnte. Oft.

Ich sollte u könnte. Aber ob ich auch wollte?

Ich muss darüber nachdenken.

Ich denke, ich wollte, aber ich konnte nicht.

Ich sollte, aber ich wollte nicht.

Kaum, wenn ich gemüsst hätte.

Und also werde ich nicht.

Ich muss darüber nachdenken.

Ich möchte schon irgendwie.

Ich dürfte auch.

Ich würde, wenn ich könnte.

Aber ich kann nicht.

Soll ich dann?

Ich muss darüber nachdenken.

Ich denke: ich sollte, ich möchte auch, ja, ich will, sogar.

Aber werde ich darum, wenn ich kann?

Nein, ich werde nicht. Denn

ich kann ja doch nicht.

Und also will ich nicht.

Es geht nicht.

Ich muss nicht darüber nachdenken.

(20)

 

Mr. Stronic

Ich stelle vor: Mr. Stronic. Jahrhunderte alt, blind geboren,  frisch betrieben,

immerhart. Sich selbst ausschliesslich der Nächste. Darin und ausschliesslich darin

wahr und intim.

Und doch ist Mr. Stronic ein Spezialfall unter den toten Dingen. Wenigstens für

mich. Es tut mir leid, wenn ich jetzt explizit werde:

Aber unter gewissen Bedingungen erwacht Mr. Stronic zum Leben.

Ich meine damit nicht biologisch. Dass er automatisch steht. Oder doch?

Weil Herrgottnochmal ich nicht behaupten könnte, dass mich das nicht rührt ——

Mr. Stronic, mein Herz hämmert!

Leider rührt mich Mr. Stronic auch in halblebendigem Zustand noch.

Halblebendig stellt Mr. Stronic die toten Dinge auf, zwischen mir und dem fliessenden

Leben! Auch die Disparaten!

Ich würde nicht sagen, dass mir Mr. Stronic nichts geben  kann, zumindest nicht

potentiell. Unter diesen ganz bestimmten Umständen kommen in  Mr. Stronic

immerhin erstaunliche  Dinge ins Rollen. Mr. Stronic ist fähig, von einem  toten Ding

aus zu Springen in ein Geheimnis,  das heisseste Mysterium!

(Jetzt muss ich aufpassen, dass ich keinen Mist erzähle.)

Wie ein Blitzableiter funktioniert Mr. Stronic zwischen mir und  dem, an dem er

baumelt. In dessen Hand er liegt:  tot, halblebendig, das Leben!

Ich muss das Bild nicht beschreiben: Mr. Stronic,  sich selbst in der Hand

zuwachsend. Dass ich zuerst blass werde, dann rot.  Mr. Stronic! Es ist dringend!

Jetzt ist der Moment da, in dem ich Mr. Stronic aus seiner Verklammerung löse,

die Hand sanft öffne, sie, die ihn umklammert. Sie küsse und weglege.

NUN LEGE ICH ANSTELLE VON MISTER STRONIC MEINE HAND AUF MISTER STRONIC.

(Gott, wenn ich nur wüsste, was ich hier erzähle!)

Das Mechanistischte, das Härteste treibt ein Tränenmeer in mir hoch?

Ich glaube, ich müsse umsinken vor Weichheit? Zärtlichkeit?!

Ich fühle mich so attached, so verzaubert, indirekt durch dich, Mr. Strong!

Nur der, der hinter Mr. Strong  zum Vorschein kommt, der Weiche, kann

mir jetzt noch helfen! ————————————-

Ich liebe dich. —————————————–

 

Das ist die Bedingung, unter der Mr. Stronic für mich aufersteht von den toten

Dingen. Darin er sich unterscheidet von den halblebendigen, den lauen, den

brutalen.

Vielleicht muss ich ja sterben, weil es diese Rührung in der Evolution nicht gibt.

Und darum ist  Mr. Stronic auch nur ein Toy, frisch in Betrieb, wiederladbar,

kümmerlich. Ein totes Ding  aus blau getöntem Plastik, das mich zum Wein—-

Und ich es wütend  durch den Raum —–

Weil der wahre Mr. Stronic holt sich  ja einen runter, vor mir auf Tinder.

Aktuell gibt er sich dort als Actor und Comedien aus, mit verlebtem, rauen Blick:

 

Mr Stronic: Hello, how are you?

Ich: Böh. Hi.

Mr Stronic: Do you like porn?

Ich: Böh. What do you act right now?

Mr Stronic: I am watching porn right now!

Ich: Ah… key.

Mr Stronic: Do you like porn?

Ich: When I transform into a man, from time to time.

Then titts can make me very horny.

Mr Stronic: So good!

Ich: But they have to be very, very big!

Not from this world!

Mr. Stronic:  I am CUMING in one second!

Ich: Okidoki. —

 

Habe ich mich je so in Widersprüchen verfangen? —–

Ende der Eruptionen.
(21)

 

 

 

BBC-News mit Meersicht

Ich bin das Meer.

Wild und ungezähmt.

Meine Botschaft ist: Unbegreifen!

Versenkt ein verzweifelter Vater seine Tochter in mir,

oder treibt auf mir ein Junge an PET-Flaschen gebunden;

während Jachten und Spritztouren toben auf mir —————
Ich kann nicht schwimmen.

Ich fische nicht mit Knüppeln mein Wasser aus mir.

Ich habe das Mädchen in meiner Tiefe geborgen,

und all die andern.

Nenn mich doch Sehnsuchtsort.
Oder nenn mich Grab;

Verflucht, das Festland zittert!

Für den Einen, der um die Liebe betrogen,

für die Zwei, die sich ergiessen ins Meer.

(21)

 

 

Dösen auf dem Dach

 

Wolkenmosaik mit vorbei schwimmendem Kahn.

Dünnhalsiger Kran, wo hast du deinen Fächer?

Von Oben herab mit Blick auf die unfertigen Kacheln,

ich habe noch Weben gelernt.

Eine Drohne, die gegen die Schwerkraft kämpft.

Zeitvertrieb von einem, der sitzt im Rollstuhl,

unter dem gläsernen Dach. Zehntausend Zikaden,

mal nah, mal fern. Und mittenhindurch, jetzt,

in der silbernen Tragtasche der Luft, pfeilschnell:

ein Vogel.

Sie trägt ihn in die Höhe, höher als den Kran!

Blick von unten, dem unfertigen Erdaushub:

ein schnell zerrissener Brief, Schnipseln von all denen,

die überstürzt  ——
(21)

 

 

Er bekam von dir einen Liebesbrief

 

Den ersten von zweien in diesem Jahrhundert.

Geschrieben aus diesem irren Strom, in dem Liebe sich zutraut.

Von dir, dumm, hässlich und dick. (so sagst du, das ist deine Eigensicht.)

Aber aus Tintenklecksen machte er sich nichts.

Nicht ganz geheuer war ihm dieses Format.

Daher lachte er sich auch krumm und verachtete dich (sagst du.
Ich will es dir gern glauben.)

Sowieso mochte er lieber Post vom Mars!

Ist es wahr?

Ob er noch über Erdhaufen robbte, weiss ich nicht.
Ob er sich wälzte im Dreck oder trainierte

an welcher Kletterwand. Ein wenig schleierhaft war mir,
was er tat nach deiner Erzählung. Doch ging er immer
blitzsauber aus seinen Taten hervor. Tatitata.

Wurde gemessen an seinen Tatatatentaten.

War überhaupt nicht dumm, hässlich oder obskur.

Als ihn der zweite Liebesbrief von dir erreichte,

in diesem Jahrhundert.

In diesem Moment war er offensichtlich nicht ganz

bei sich, öffnete den Messenger, las:

 

Poesie die verklumpte.

Poesie, mit einer Krümmung.

 

Und erinnerte sich an dich, wie an eine Schöne.

Ist es ist wahr?

(21)

 

 

Wieder mal eine Fliege

 

Entwischt mir, will ich sie fangen.

Zeigt mir, wie plump ich bin, wie lahm.

Doch immerhin hab ich einen Plan: kauf mir eine Spraydose,

Giftklasse Vier, kann explodieren. In diesem Sprühnebel

wird sie hängen, lahm.

Fertig mit Herumtanzen auf meiner Nasenspitze,

mein Knie benutzen als Blödel-Rampe, meinen Scheitel als

Landebahn für Vor-Ort-Dummheiten —–

Fliege, ich bin hier der Boss!

Ich werd dich töten mit ’ner Granate.

 

Warum kommt sie eigentlich nie zur Ruhe?!

Ihre Bewegungen sind so zackig! Vom blossen Zuschauen bringt

sie mich an den  Rand! Stürzt frontal, dann quer,

nicht einmal landen kann sie!

Eins steht fest: Ihr absurder Weg ist das Ziel.

 

Doch bin ich hier der Boss!

Und kille sie mit ’ner Granate; betippt sie mich noch mal.

Betippt sie mich noch mal, noch mal, noch mal —–

betippt sie mich, rührt sie mich an ouaaaa ——-

 

ich weine vor Entkräftung. Zeigst mir, wie plump ich bin,

wie lahm.

—–

Komm, mach nur weiter so!

In der nächsten Sekunde wirst du hängen!

Dann lacht der plumpe Riese, der sich vor Fluten retten kann

auf ein Sträuchlein!

 

Das heisst, nein, ich hab es mir anders überlegt.

Ich kann dich nicht töten.

Fliegen töte ich nicht mit Granaten.
(21)

 

 

Kaugummi-Konferenz (die primär-Primitiven)

Versetzen ihm kleine harte Schläge.
Jagen ihn im Kreis.
Machen ihn windelweich.
Aus dem Hinterhalt, dunkel,
-in-trans-par-ent ———-

an Eckzähne gepfählt.

Spuck’s aus, mein Kind! ruft die Mutter.
Verweigerung.

Spuck’s aus, hier in meine Hand!
Kriegen es mit der Angst.
(das diplomatische Moment.)

Schlucken kalte L….auichen
runter.
(21)

 

 

Mitte Januar, Tagesende (lockdown)

 

Vorsichtig öffnet sich meine Balkontür.

Grollen oder Donnern: Eine gewaltige Verkehrsmasse in der Ferne,

wendet sich ab. Nur die von rauchigen Dieseln getränkte Luft.

Blickdicht hängt die Nacht. Ich hoffe:

sie haben diesen Tag nicht in den Sand gesetzt,

mit Kopf nach unten. Ich spüre nämlich: sie entziehen sich,

weiter und weiter.

Mit jedem Ankommen müssen sie brechen.

Notgedrungen.

Oke. Ich bin heute etwas pathetisch:

Aber die Tage, die ihnen in den Händen zerrinnen;

förmlich; ich möchte nur einen davon aufheben.

Und damit wirken.

Aber es ist noch nicht ausgestanden. Ich ahne:

hinter meinem isolierten Glas hinter den Doppelscheiben,

bewegt sich was. Unermüdlich vollzieht es sich.

In Prozessoren, Walzen, in klein verschraubtesten

Elementen. (Was weisst schon du von Zahlen!)

Aber gerade denke ich nicht an die Erfassten.

Sondern an die andern: Gedanken! Die frei schweben,

verzweifeln und zaudern, im Kreis herum hüpfen,

unbeobachtet, wir uns machen, vielleicht

kann einer damit wirken im Blickdicht der Nacht.

 

Den Schein, den ich auf die totengleiche Starre lege,

ist mein eigener. Er kommt von der Abwesenheit der Mimik.

In Zeiten grossen Frosts.

Man kann ihn ausstehen, gefühlt, in einem

wärmenden Gesicht. Wenden wie ein Blatt: nicht.
(21)

 

Self Symbiotics

Eigentlich bin ich einfach.
Aber mit dir bin ich zweifach.
Ich merk‘ es, wenn ich für mich bin.
Dann bin ich ganz ich.
Oder heisst es: mich?
Ganz bei mir bin ich dann.

Doch bin ich mit dir, bin ich nur zur
einen Hälfte bei mir. Mit der andern bin
ich bei dir. Du dann ich bin.
Oder sagt man: dich?

Eigentlich bist du ganz einfach.
Du merkst’s, wenn du bei mir bist.
Dann bist du mit beiden Hälften bei dir.
Ganz einfach dich. Nur wenn du für
dich bist, bist du vielleicht noch mehr
du. Oder sagt man: ich?

Merk ich dann, dass es dich nicht gibt?
Wo bin ich dann?

Wie weiss ich, wer du bist, wenn du du bist?
Wie weisst du, wer ich bin, wenn ich ich bin?
Was heisst das schon, angesichts —–

Ich lebe doch nur für dich!
Für mich existiere ich nur.
Oder soll ich sagen: für niemanden?

—-

Eigentlich bin ich ganz einfach.
Alles falsch!

Manchmal bin ich dreifach. (21)

 

Spital XY

Es ist ein grosser Bau, Innen weiss und Aussen grau.
Vielleicht ein paar Risse in den Mauern,
gross genug für die Eidechsen, zum Hindurchschlüpfen.
Und es steht vielleicht im Urwald.

Mehr kann ich darüber auch nicht sagen.
Denn nie war ich da. Ach ja: lang sind die Gänge,
Linoleum, verlegt, mehrmals, Spuren von hingekarrten Betten.
Und Pfeile, himmelblau, die vielleicht in den OPs führen,
nach fünfzig schwer entschiedenen Abzweigungen.
An jeder Ecke ein Rollsack vollgestopft mit Hemden.
Entsorgt durch ein Kippfenster in der Wand.

Hemden, Hemden, klein zerknüllt oder schmiegeloser Falz.
Und eine Luft, die du nicht wählen kannst, die du
atmest, säuerlich-süss, steriliumgetränkt, obwohl keiner da ist.
Eine Luft, die du nicht atmen kannst. Und doch:

jetzt musst du!

Hier kann nichts brennen, Feuer fangen. Zugewachsen
die beiden Eingänge, ehemalige Graffitikunst, vergilbt.
In Betrieb noch eine Feuerleiter. Führt aufs Dach, zehnmal
so gross wie ein Tennisplatz, von einem rostblättrigen Geländer
umzäunt. Dir knapp zur Leiste reicht.

Nun halt dich fest, grosses Kind und geniesse den Anblick!
Nichts als Bäume, verschlungenes Grün, Urwald, richtungslos,
soweit das Auge reicht, nichts als Verirrung.
Halt dich fest, du grosses Kind, auch wenn du nicht
atmen kannst, weil eine Art Heimweh dich quält.
Du hast keine Wahl.

Und mehr kann ich auch nicht sagen. (21)

 

Von Agadir nach Dakkar (Google-Earth-Trip auf Al Jazeera)

MJS-Immobile, the virtual Globetrotter

Hinter mir die Stadt, Hochhäuser wie Berge, weiss gezackt, von schwarzen Löchern durchbrochen, (das sind meine Fenster!), vom Meer ein Halbmondschweif, orangegolden, darüber geworfen. Antennen und Kloaken! Und all die Ritzenblüten; Marokko, vom Himmel  angeworben.
Niemandsland breitet sich nun vor mir aus. Und, verdammt noch mal, mit jedem Kilometer wächst meine Angst: Ich bin auf dem Weg von Agadir nach Dakar. Hab Arganöl geladen und was Kleines zum Schmuggeln. Aber reicht mein Wasser?
Dreitausend Kilometer sind es, am anderen Morgen, als ich dringe in Nichts als Wüste! Westsahara! Sand, der in Bächlein über die Wälle rieselt. Und zwischen Dornen, den Überlebenden dieser dürren Nahrung; gesprenkeltes Azur, ein blauer Streifen der Küste, die sich hinzieht, unbetreten. Himmel darüber gepint; frei für Drachensteigen!
Gott, ist man hier allein!!!
Endlich! Nach fünf Tagen erreiche ich die Grenze zu Mauretanien. Warte auf meine Papiere. Dies auch ist mein Beruf; verhandeln und warten, dass sie mich durchlassen. Erklären, wer ich bin, den Fremden; ein marokkanischer Trucker, geschickt nach Dakkar, Kapital von Senegeal, Arganöl zu tauschen gegen Mangos. Alles klar?
Nachts liege ich in einem Zelt auf einer Pritsche mit offenen Augen, hab noch drei Liter Wasser und kein Empfang. So, jetzt weisst du’s.
Verdammtes Niemandsland! Und weil es hier auch nichts zu Essen gibt, denke ich ein Wenig an Mobilzone, Starbucks und Sofitel, Cartier im Marmorglanz der Arkaden! An den Gewürztee, den ich jeden Morgen trinke, in der schattigen Ritzenblüte, mein Freund Saad. Bei mir daheim—-
Am nächsten Tag ist es noch keine Neun, aber schon verdammte vierzig Grad! Als es weiter geht, vorbei an grau gerippten Hunden, die einen Kadaver zerfetzen, an verrosteten Car-Ruinen, ausgebrannt, Zelte, aufgelegt auf trockene Erde, wie Papiere. Zweitausend Kilometer liegen noch vor mir, aber mit jedem Kilometer wächst meine Angst. Ich bin auf dem Weg von Agadir, Marokko, nach Dakkar, Afrika. Hab Arganöl geladen, gegen Bananen!
In Noukschott halten sie mich fest. Ich kann meinen Truck nicht verlassen, zu hoch, das Risiko, dass man mich überfällt.  Kann ich jetzt noch umkehren? Übermüdet schlafe ich ein über dem Steuer. Ich habe noch zwei Liter Wasser. Für wieviele Tage?
Verdammte Kameltreiber! Bin ich etwa eine Memme?!
Ich liebe die Ferne und habe diesen Beruf gewählt, weil ich ein guter Fahrer bin! Ich verstehe die Strasse, auf ihr hab ich meinen Frieden. Obwohl mein Truck viele Tonnen schwer ist, ist er auch sehr sensibel. Viermal musste ich schon anhalten, weil der maureatanische Asphalt die Pneus meines LKWs verletzte! Das sind afrikanische Probleme! Die marokkanischen Strassen sind besser. In Marokka habe ich diese Probleme nicht, die es in Afrika gibt. Aber kaum bin ich jenseits der Grenze hadere ich. Vierhunderteuro in drei Wochen! Für ein Bisschen Bananen!
Dass ich nicht lache.
Endlich! Ich erreiche den Senegal. Stecke fest an der Grenze, drei Nächte und drei Tage. Erkläre: diese Papiere wurden mir schon daheim in Marokko ausgehändigt! Ich kann nicht länger warten! Ich muss weiter! Ihr müsst mich bloss durchlassen! Die verdammten Nomaden da Oben liessen mich schon eine Woche warten! Der Grenzwächter gibt nach, weil ich draufzahle.
So ist das Leben. Dreihundert Kilometer noch bis Dakkar. Wir besteigen eine Fähre. Kühe und Menschen lehnen an meinen Truck, wie auf einer Schulreise. Die Fähre kentert vielleicht. Oder mein Truck! Von so vielen Taschen, Koffern, Gewändern und Farben. Aber meine Pneu ruhen, Hauptsache!
Ich muss schauen, dass ich ein wenig Ruhe kriege, verdammt!
Angekommen in Dakkar, mein Ziel erreicht, endlich. Noch nachts um Drei laden wir meinen Truck aus, flicken die Kühlbehälter. Am nächsten Tag stapeln wir die Mangos. Noch einmal acht Stunden in einem Bett voller Flöhe schlafen, noch einmal duschen. Dann fahre ich zeitlich ab.
Der Senegal ist gut. Wo die Menschen gut zueinander sind, haben die Strassen keine Löcher.

Alle Länder mit guten Strassen haben gute Menschen.

Was für ein eingespieltes Team wir doch sind, ich und mein Truck. Ich kurble ein wenig das Fenster herunter bei fünfundvierzig Grad. Vom Fahrtwind habe ich Bindehautentzündung. Wenn ich fahre, spüre ich die Schwere meines Trucks, spüre, wie sie mir in die Glieder fährt in meiner engen Kabine.

Zweitausendkilometer noch vor mir. Und mit jedem Kilometer wird diese Schwere schwerer. Verdammt noch mal, mit jedem Kilometer, den ich zurücklege, wächst meine Angst. Warum? Ich frage nicht.
So ist das Leben! Ich bin auf dem Weg vom Dakar nach Agadir. Ich habe Mangos geladen, paar Waffen und paar Bananen.
Ein solches Schwergewicht ist mein Truck! Und doch, wer weiss es, wenn ich mich so die Wüste durchqueren sehe, durch einen Zoom, denk ich; ist mein Truck nicht auch eine Libelle? Mit durchsichtigen Flügelchen, seitlich?
Erklär ich in Noudhibou: wenn ihr mich jetzt nicht durchlässt, dann fallen meine Kühlsysteme aus, dann verdirbt meine Ware! Und sie: Zeig uns richtige Papiere!
Diese verdammten Kamele!
In Al-Dakhla haben sie die Strasse gesperrt, wieso erfahre ich nicht. Meine Ware ist verdorben! Das kostet mich die Hälft meines Lohns!  Ich weine ein wenig. (ich weine sonst nie, nur in meinem Truck!)
Dann dringe ich in die Wüste ein, Westsahara! Meine Augen sind wieder trocken, brennen vom Licht, das in Bündeln vor meiner Nase tanzt, nirgendwo bricht, Wälle, von denen ich mir blauen Schatten erhoffe. Den halben Lohn, denk ich! Den halben Lohn! Und lege Hunderte von Kilometern zurück, fahre Stunden. Alles ist friedlich. Haben sie mir nicht von irgendwoher ein bisschen mehr versprochen?
Ich lebe nicht schlecht, ich komme grad so durch. Und ich liebe meine Arbeit. Auf der Strasse bin ich nicht irgendwer, ich bin der König von Marokko!
Für Toilette reicht die Zeit nicht.Noch halb auf dem Trittbrett öffne ich meine Hose. Begiesse ja nur Dornen, die sich gierig strecken, endlich Flüssigkeit! Ein Blick auf die Uhr: Sie ist stehen geblieben.
Am Horizont ein blauer Küstenstreifen, der sich hinzieht, unbetreten, vom Tourismus nicht erschlossen, dabei schön wie der unsrige. Ein gottverlassener Drache, kreisend, am Azur.
So ist das Leben! Nichts als Probleme! Will mich nicht beklagen, will ich jetzt noch heil nach hause kommen, so mit leerem Tank, muss ich mich sputen!
Vor zwölf Tagen in Dakkar aufgebrochen, habe ich zweitausend Kilometer zurückgelegt. Gottseidank! Ich weiss nicht, ob ich dasselbe noch einmal mache.
Tausend Kilometer sind es noch bis nach Agadir. Doch mit jedem Kilometer, den ich zurücklege, wächst meine Angst, ich könnte die Zivilisation, mein Land, meine Stadt, mein Haus nicht mehr erreichen!

Rund um mich ist nur Dürre, nur Wüste, keine Grenze mehr ?! Hab nichts geladen, nichts mehr zu essen, nichts mehr zu trinken. Gott, was für ein Leben!
Ich liebe mein Land! Ich liebe Marokko! Was will man mehr?! Langsam taut der Morgen. Ein Fischerboot im Dunst, Hupen und Schreie, alles vibriert.
Zoom es ruhig heran!
Zoom es heran an deinen fremden Ort! Und entscheide selber: ist das was oder ist das Nichts. Du sagst, du hast dort alles; Wasser, Geld und freie Blicke. Du sagst, du musst nicht arbeiten und kannst trotzdem täglich Kuchen essen.
Kind hast du keines und Mann hast du keinen, bist krank und gehst spazieren im Regen mit nackten Beinen, liest Bücher von Soziologen und folgst mir auf Al Jazeera, Google Earth!
So also liebst du die Ferne?!
In schā’a llāh. Du musst dich nicht  entschuldigen für wer ihr seid. Ich glaub nicht daran. Ich glaube an meinen Truck. So ist das Leben!
(21)

 

 

Host tree

Ich kämpfe!

Entwarnung: nur für meinen kleinen Höhepunkt.

Aber Wolken sind schneller als ich.

Wo bist du jetzt, mein goldiger Faden?

Kollidiere ich etwa mit der Gegenwart, wenn ich so kämpfe?

Lass das Fragen. Las es in seinem Erzittern:

er ist schon dort! Wo ich mit ihm hin gehöre!

Aber Wolken sind schneller als ich:

Ich— was ist das?

Schlüsselloch mit einem Kontemplat.

Tiefe Sehnsucht, wenn es regelmässig leise regnet.

Glimpse von einem goldigen Faden.

Paradoxon Stoppuhr, Gänsehaut.

Aber warum kann ich denn nicht höher schweben?!

Warum kann ich (nur ) berührt werden!?

 

Miss diesem kleinen Kampf keine Bedeutung zu. Haha.

Lass los und hol nach, was dir misslingt,

zu zweit: Allein—

Sein Erzittern in dir.  Sein Nachbeben———

 

Dann steck die eingesammelten Fragmente ein.

Und überblicke sie ruhig. Später, wenn es leise

regelmässig regnet.—-

Sein Erzittern, sein

heimlich Nachbeben.
(21)

 

Wie ein bezauberndes Arschloch beschreiben

 

Aber dann als er mich verliess, lief ich schreiend durch die Stadt.

Ich war Vierunddreissig und wusste nichts von diesem lauten Stimmorgan,

mit Wurzeln bis in den Bauch, so tief wie Unterwasserrohre.

Ich versuchte, sie auszuhusten, die verharkten Küsse, die falschen Worte,

Schmelz, der eine Rhea erweicht;

sie zwingen zur Umkehr, Meter für Meter, durch das grösste

und wärmste Fenster, das noch offenstand zum Körper;

Von meiner Seite her war’s wohl Liebe, bähh–, von seiner nur

Würze zum Tee.

Aber dann, schau her, schon nach vier Wochen war die Sache
auch für mich gegessen. Das Leben ging weiter, wenn auch nicht meines.

Amnesie auch hier.

 

Drum häng mich nicht auf an einem falschen Wort,

wenn ich so spät  noch eruier’:

 

Wie ein renommiertes Arschloch beschreiben

 

Sein Alter gefiel mir gut. Sein graues Besenhaar. Sein fetter Mund,

der herrliche Schwimmring um seinen Bauch. Nie traf ich einen Mann mit

solchen Käsesocken. Er ging nach Monte Carlo, verspielte dort all das Geld,

das sie ihm wohlweislich nachschickte, mit der Bitte: Kehr bald wieder heim

und wende dich vernünftigen Dingen zu, mein lieber Mann, du
grosses Genie!

Der Gestaltung einer modernen Shoppingmeile, Bankempore, Bedachung

einer weiteren Stierarena. Hatte er nicht Ideen über Ideen? Hotel
Gstaad noch als Pappmaché neben dem Klo durch geschicktes Anklopfen

bei den Kulturellen zu verwandeln in einen Überflieger Phallus aus Eiskristallen.
(inklusive Spa.)

 

„Ein wenig Nachbarschaftshilfe“, meinte er, als er endlich doch noch

heimkehrte, Ende Sommer, das Auto, wohlweislich von ihr bezahlt,

zu Schrott gefahren; konstruierte er eine doppelt schalldichte Türe,

zwischen seiner Etage und der ihren, stieg weiter unters Dach, um zu

bohren: ein ————————haha ———————- Loch in den Himmel.

 

Ein bisschen Nachbarschaftshilfe: „Komm! Hier kannst du dich sonnen,

nackt. Keiner sieht’s!“ Lehnte ich also an einem Kamin, während jonglierte mit Champagner und zerdrückten Erdbeeren auf den Ziegeln,

der vom Wind geteilte, schneeweisse Badenmantel und zwei stattliche
Leuchtkugeln.

 

Und jetzt ich. Nein danke! sagte ich lachend.
Ich geh gleich rüber. (Was soviel bedeutete wie: heim, in meine

Mikro-Loge der Nr. 33.)

Zwang mich gemächlich zur Umkehr, räkelte mich,

Millimeter für Millimeter durch das gebohrte Loch (eines schwachen
Widerstands).

Wie gesagt: Bei ihm stand nur der schneeweisse Bademantel offen.

Bei mir war es wohl das Herz, bähhh—-

Ich meine: Louis Quatorze Winestein, auch eine Sorte von Gott.

Was, wenn er dich berührt? —–

Und jetzt: Amnesie! Cut!
(21)

 

 

 

 

 

The Bordi-Collection:

Briefe eines Frisörengehirns an den Psy, 1999-2000

                                                                                                                  Steckweg, den 24. 9. 1999

Sehr geehrter Herr Doktor,

Tschuldige, dass ich Sie kurz belange: Ich weiss ja, Ihr Blick ist sogar während der Sitzung die meiste Zeit in den Terminkalender gekrallt. Suchen Sie ein bisschen freie Zeit? Oder hoffen Sie, dass wenigstens ein Patient für die kommende Woche noch abspringt? Ich bin dieser Patient, Herr Doktor, ich bin es! Ich kann nächste Woche nicht kommen!

Ich suche nämlich gerade nach einer abhanden gekommenen Liebeserklärung für mein Leben, nachdem mir Ihr Seelenritter PSYCHOPHARMAKA letzte Nacht das Kotzen brachte. Und ich doppelt sah! Ein weiss-nicht-was-für- ein-seelisches Monsterkonzentrat feuerte mir gegen dieses winzig kleine, chemische Pillchen an, in der Gurgel fühlte ich einen Schlauch, zehnmal verdreht und verknotet…

Nein, ich kann dieses Pillchen nicht schlucken! Kann nicht zu den dreieinhalb Millionen gehören, die, wie Sie sagen, dieses Pillchen täglich einnehmen, fast wie zum Vergnügen! Das alles in allem enttäuscht mich schon sehr, ich muss es zugeben. Nicht zuletzt hätte ich es toll gefunden, einmal einer Familie anzugehören … einer Gattung oder Spezie aus der Familie … der … wie hiess es doch gleich … sagen wir: Psychopharmakaschmauser! Dunkelwolkenschlucker! Geradeausweitergeher! Sozusagen! Naja, werde ich nun ein Leben lang unglücklich bleiben?

Ich zittere! Und verbleibe

Mit freundlichen Grüssen Jeanne Stürmen

 

Bern, den 22.10.99

Sehr geehrter Herr Doktor

Leider kann ich Ihnen den gewünschten Lebenslauf noch nicht senden, da ich ihn erst schreiben muss! Ich fürchte jedoch, ich kann meinen Lebenslauf noch nicht schreiben, da ich erst mein Leben leben muss, bevor ich überhaupt so was wie einen Lauf im Leben habe!

Mit dem Schreiben, zu dem Sie mich neben den Arbeitsmassnahmen angehalten haben, geht es übrigens bergab. Ich muss sagen, ich möchte gern auf ein Ohr stossen! Aber da gibt es etwas, das ich niemals schaffen werde: den Ton, mit dem ich zur Welt gekommen bin, auf einen Markt zuzuschneiden. Wissen Sie, auf eine Weise wäre ich gerne Sie! Dann würde ich wie ein grosses, leeres Buch, all die Gedanken und Offenbarungen Ihrer Patienten, ihre grossartigen Vermurkstheiten – ich meine, das sind Sie doch, solche inneren Ergüsse, die Ihnen wildfremde Menschen anvertrauen? – zu einem einzigen, möglichst endlosen Erzählstrang zusammenweben!

Dann würde ich die Geschichte, die sich aus dem Erzählstrang ergibt, Ihnen bringen, und Sie könnten dann mit Hilfe Ihrer langjährigen Berufsausbildung, unter anderem am Psychologic Institut in Amerika, eine Persönlichkeitsstruktur aus all dem heraus filtern. Einen Menschen  aus dem Flickteppich inklusive einer Diagnose!

Hiesse die Krankheit dieses Flickteppich-Menschen Sehnsucht? Hiesse sie Unsicherheit? Hiesse sie Zaudern, Verhindertsein, Stürmischsein? Leben?

Leider weiss ich mit knapp Sechsundzwanzig immer noch keinen Beruf, der mir kleidungsmässig passen könnte. Zu schade nur, dass nicht ICH ein Kleidungsstück bin! Habe ich heute im Warenhaus Globus gedacht, als ich bei den Strümpfen stand. Ich drehte mich übrigens gerade vor einem bespiegelten Regal ab, weil ich glaubte, Sie, Herr Doktor, einige Meter hinter mir, ebenfalls vor den (männlichen) Strümpfen entdeckt zu haben.

Das Problem mit den Strümpfen ist bei mir, dass ich bei der grossen linken Zehe immer nach Ablauf des dritten Tages ein grosses Loch kriege. Das Problem mit den Socken jedoch, dass ich davon zwar rechte und linke besitze, aber ganz viele, viele … verstreute … verlorene …

Warum eigentlich ist es so schwierig, eine rechte Socke zu finden, die zu einer linken Socke passt, Herr Doktor, was meinen Sie? Wollen wir diesem Problem einmal nachgehen? Ich meine, jetzt nicht im Warenhaus, nicht im teueren Globus! Sondern bei Ihnen ganz bequem in der Praxis.

Freundliche Grüsse Jeanne Stürmchen

 

Bern, den 31.10. 1999

 

Sehr geehrter Herr Doktor

Von meinen Erfahrungen mit dem Akne-Pillchen Roakkutane will ich Ihnen gar nicht erst erzählen. Es verbrennt mir die Knochen, schürft mir die Eingeweide. Ein paar Tage lang dauerte mein innerer Konflikt: einnehmen, ein paar Monate tot sein. Dafür mit reinem Gesichtsblättchen aus diesem Schlammassel hervorgehen, mit wieder gewonnener Identitätsfratze! Oder dort zum Krater werden, zur Kompostapfelsinenhaut, dort, wo die Seele wohnt, die grösste und einzige Verletztlichkeit und Nacktheit; im Gesicht!

Boah, Herr Doktor! Leider musste ich das rosarote Pillchen aufgrund schwerster Nebenwirkungen absetzen und aufs Land in mein altes Elternhaus flüchten, um meine Blösse auf unbestimmte Zeit zu verstecken. Vor wem denn? Vor der eitlen, glattpolierten, tolpatschturnschuhigen Weltleinwand etwa?

Herr Doktor, wissen Sie was: Ich habe bisher nur fürs Vergnügen gelebt! Für den Zauber und die Verführungskraft! Ich kleines, dummes Gänschen! Aber jetzt, wo ich kein schönes Gesicht mehr habe, sondern ein verunstaltetes, ein hässliches, vernarbtes, muss ich Freude gewinnen an einem hässlichen, trockenen, pflichtbewussten, tiefgreifend tiefsinnigen, lustlosen, ernsten Leben, aus dem bald, so hoff ich, schon die wahre echte Schönheit hervorgehen wird! Eine Schönheit, die einem keiner ansieht und mit der man allein bleibt, weil man sie im Gesicht nicht sehen kann.

Dies so meine Gedanken.

Mit freundlichen Grüssen J. Stürmchen

 

Hopfenweg, den 30. 8. 2000

 

Sehr geehrter Herr Doktor

Probleme stehen an. Ich will Sie daher wieder „ehren“.

Ich stehe gerade mit grösstmöglich aufgesperrtem Maul im Badezimmer und richte die Taschenlampe auf meine vereiterten Mandeln. Seit einem Monat versuche ich vergeblich den leuchtenden Fliegenpilz mit dem schönen Frauennamen Angina mit einer Antibiose aus der Sprühdose, Schabern und Stengeln meiner Lieblingsglacé Pralinato Frisco zu vertreiben!

Wären Sie bereit, Herr Doktor, mir ein Krankenzeugnis, das mir Hausarzt Schlappbach liebenswürdigerweise bereits für zwei Wochen ausgestellt hat zu verlängern, bis auf Weiteres? Ich weiss, die Frage kommt in einem blöden Moment, wo ich doch erst vor einer Woche den einjährigen Zusatzkurs zur Arztsekretärin an der Feusischule begonnen habe. Ich meine, ich, Sie, meine nahe Verwandtschaft, die ganze Umgebung ist zufrieden mit dieser praktischen Wendung, dass ich meine, vor vier Jahren absolvierte Ausbildung zur fixfertigen Sekretärin doch noch verbinden kann mit einer faszinierenden Materie! (Terminologie statt Buchhaltung! Verbandskunde statt Zahlen!)

Im Prinzip ist ja auch alles gut gegangen bis und mit Vorstellungsrunde, als sich zweiundzwanzig, teilweise etwas ältere, beleibtere, oft méchierte Mädchen (aber das kann täuschen), der Reihe nach vorstellten:

„Ich heisse Soundso. Bin dort und dort geboren. Habe so und so viele Kinder. Habe da und dort gearbeitet …“, sagte, zum Beispiel, die erste Sekretärin. Und gab dann den Ball weiter an die zweite Sekretärin, die direkt neben ihr sass. Diese sagte: „Ich heisse Soundso. Komme von dort und dort. Bin das und das … „, usw. , Dann hat auch diese Sekretärin den Ball weiter gegeben an die nächste Sekretärin in der Reihe. (denn so sassen wir, in Reihen!) „Ich bin … ich komme … ich war … ich werde!“, sagte diese Sekretärin. Aber so souverän, so reibungslos, wie am Schnürchen, dass ich heimlich kaltblütig vor Verbewunderung dachte: Die ist bereits eine Gestandene in ihrem Fach!

Also hatten sich zwanzig … nein, einundzwanzig Sekretärinnen durch und durch, brilliante Telefonistinnenstimmen, Automatensprecherinnen, mit Namen, Wohnort, Zivilstatus, Alter, ehemaligen Arbeitsplätzen, Scheidungen usw. vorgestellt … mit allem, was dazugehört zur perfekten Vorstellung! … Vielleicht sogar mit etwas Sexyness … fast wie im Chor! …

Als die Reihe plötzlich an mir war.  Und ich  unerhört … Schiss bekam! Das Fieber stieg mir in den Kopf, der glühende Hals schmerzte mich. Ich angelte nach einem Satz, einem Vorstellungssatz, schabte daran, verlor ihn, grübelte an meinem gesprenkelten Rachen und der Frage herum, wie lange das wohl noch dauern würde. Dann vergass ich auch das, als jemand aus der Ferne rief: „Wie heissen Sie?“

Und von noch weiter weg eine Stimme fremd und nuschelnd sagte: „Angina!“

 

 

Hopfenweg, 25.10.2000

 

Sehr geehrter Herr Doktor

                                                                                  

Haben Sie’s schon erfahren? Aus meinem Arztsekretärinnenkurs ist nichts geworden. Schuld daran ist wohl das *Taxpunktesystem und nicht mein Fernbleiben wegen Kranksein. Nun geht es in einem nächsten Schritt darum, meine beruflichen Eignungen als Kaufmännische Angestellte neu zu beurteilen und insbesondere meine logischen Fähigkeiten einmal genau unter die Lupe zu nehmen. All das geschieht in einem Beschäftigungsprogramm, das ich am kommenden Dreissigsten beginne. Da dieses Beschäftigungsprogramm unter anderem vom Ihnen eingefädelt worden ist, verstehen Sie sicher, wenn ich unseren Termin vom Neunundzwanzigsten auf unbestimmte Zeit verschiebe.

Auch ganz andere, teilweise gravierendere Beschäftigungen, Gefühle und Gedanken, die mich zurzeit sehr beschäftigen, müssen verschoben, hinten angestellt werden, bis auf Weiteres:

A: Dass ich lieben will mit einer Art leidenschaftlicher Intensität. B: Dass ich leben will und nichts und niemand mich einschränken oder und aufhalten soll, in meinem Bestreben mein Leben zu leben, so wie ich es will. C: Dass die Arbeit respektive mein zukünftiger Erwerb dieses Leben jedoch zerfasert und in kleine Stücke zerhackt, indem es mir einen massiven Teil an Energie für fremdbestimmte Zwecke abzweigt, als wäre ich eine Zapfsäule. So dass mir diese Energie und Kraft für das Andere, das WAHRE, nicht mehr frei zur Verfügung steht.

Lohnt sich der Aufwand dieser Kraft? Lohnt er sich nicht? Ist er deckungsgleich? Oder werde ich am Ende, insbesondere, physisch, bezahlen müssen?

D: Dass mein Herz, dieser kleine motorisierte Zwerg kontrahiert. E: dilatiert… F: aussetzt. G: Oh Wunder! H: Dass ich unter dem Umstand meiner Sterblichkeit gar nichts mehr machen kann, nein, rein gar nichts! I: Dass mir ein Psychiater bei all diesen Gefühlen und Gedanken, die ich hiermit noch einmal hervorzaubere, aber ab sofort in die Schublade stecke, nicht helfen kann.

So sind die elementarsten Dinge noch nicht geregelt, wenn ich am kommenden Dreissigsten mein Beschäftigungsprogramm anfange, zu fünfzig Prozent, Arbeitstage: Montag, Dienstag, Mittwoch und Donnerstag – puh! – und  man mit einem passenden Eignungstest hoffentlich herausfindet, ob in mir drin noch irgendwelche Fähigkeiten stecken, die man nutzen kann.

…. KLMNOPQRSTUVWXY … Z… Herr Doktor: Z!

Freundliche Grüsse  Jeanne Stürmchen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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